Goethes Tragödie um einen Menschen, der für die Erlangung innerer Zufriedenheit dem Teufel seine Seele verkauft, wird seit zwei Jahrhunderten immer wieder aufgeführt und inszeniert. Der Stoff hat nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil, es scheint, dass in den heutigen orientierungslosen Zeiten sich immer mehr Menschen in einer Lage wie Faust befinden.
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Der Inszenierungen gibt es viele. Sehr häufig findet man die klassischen Inszenierungen, die der Entstehung des Stückes Rechnung tragen – es wurde 1808 veröffentlicht. Aber so ein Stoff reizt natürlich auch zu Experimenten. So wurde der Faust schon mit Musikbegleitung inszeniert, in moderne Sprache übersetzt oder in einem zeitgemäßen Szenario aufgeführt, in dem Faust dann der frustrierte Computerexperte ist und Mephisto und Gott im Cyberspace wohnen.
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Eine moderne Inszenierung des Faust in einem kleinen Avantgardetheater hatte es sich zur Aufgabe gemacht, bei ihrer Interpretation des Stückes alle Grenzen zu sprengen und ihm ganz neue Dimensionen abzugewinnen. In dieser Inszenierung spielt die Tragödie in der Jetztzeit, und Faust ist ein sexuell frustrierter Biologe, der zwar alles über den Körper weiß, jedoch nichts darüber, wie man ihm Vergnügen abgewinnt. Dies verspricht ihm Mephisto für den Verkauf seiner Seele – einen unablässigen Rausch der Sinne.
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Das zentrale Thema dieser Inszenierung war daher das Thema Sex und unbefriedigte Lust und zog sich dominant durch alle Szenen. In jeder Szene waren immer nackte Körperteile präsent – Plakate mit nackten Frauen an den Kulissen, Statisten, die leicht bekleidet waren, ein Paar, das sich im Hintergrund der sexuellen Liebe hingibt. Diese sexuelle optische Präsenz steigerte sich im Verlauf des Stückes immer mehr.
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So waren bei der Szene im Auerbacher Keller alle beteiligten Darsteller oberhalb der Taille korrekt bekleidet, unterhalb der Taille trugen sie allerdings nichts. Das führte dann endlich doch zu einigen erschrockenen Ausrufen im Publikum, ein Teil beschloss auch, die Aufführung zu verlassen. Auch Gretchens Verführung und die Walpurgisnacht wurden auf eine Weise dargestellt, die an Realismus und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
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Sicher muss das moderne Theater Grenzen überschreiten und den Zuschauer auch einmal schockieren. Dabei sollten jedoch das eigentliche Thema und die zentrale Aussage eines Stückes nicht verloren gehen und das Schockieren nicht zum Selbstzweck werden. Wird das Publikum jedoch von Entsetzen und Scham so okkupiert, dass es für etwas anderes nicht mehr aufnahmefähig ist, ist das Ziel wohl verfehlt worden.
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Daher hat diese Inszenierung vielleicht bewiesen, dass sich Goethes Faust vielleicht als erfolgreicher Pornofilm umsetzen ließe. Aber Sexualität in obszöner Weise nur als schockierendes Element zu zeigen, welches das Thema des Stückes aber nicht weiter intensiviert, kann man nur als sensationslüsterne Geschmacklosigkeit bezeichnen.
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Zu Recht wurde diese Inszenierung nur wenige Male aufgeführt und verschwand dann im Dunkel der Vergessenheit. Und über den Namen des Etablissements legt man am besten gnädig den Mantel des Schweigens.